Mich hat wirklich gewundert warum die SPD unbeliebt beim Wähler ist, trotz solidarischer Grundrente, Gute-Kita-Gesetz und weiteren Erfolgen der Sachpolitik. Eine Erklärung: Der Sozialdemokratie in Deutschland fehle die große sinnstiftende Erzählung. Auch interessant: zu Zeiten von Marx war das Proletariat ein buntscheckiger Haufen und erst durch die Erzählung bildete sich die Verbundenheit zwischen unterschiedlichen Arbeitern wie Gießer und Bergmann.
»Da ist der Neoliberalismus, der mit seinem Prinzip der Individualität, der Selbstregulierungskraft der Märkte, der Konkurrenz und des Wachstums die Wirtschaftsliberalen mit Sinnangeboten und Handlungsempfehlungen versorgt. Da ist die radikale Rechte, die mit essentialistischem Zugehörigkeitsdenken und der Idee eines homogenen Volkes ein ebenso wirkmächtiges Narrativ anbietet. Und da ist die grüne Erzählung, nach der die Freiheitlichkeit demokratischer Systeme nur durch ein radikales Umdenken in ihrem Ressourcenverbrauch erhalten werden kann. Alle drei Erzählungen basieren auf den jeweils eigenen Werten der Individualität, der Volkszugehörigkeit und der Nachhaltigkeit, bieten damit plausible Interpretationen der Gegenwart und verbinden diese mit einem konkreten Versprechen für die Zukunft: Wenn sich jeder Einzelne anstrengt, dann geht es allen besser. Wenn wir die Gesellschaft vor Fremden schützen, verteidigen wir unseren Wohlstand. Wenn wir ökologisch handeln, bewahren wir die Welt für unsere Kinder.
Gerade die letzten beiden Erzählungen haben in den vergangenen Jahren ihre Sammlungskraft eindrucksvoll unter Beweis gestellt, zuletzt bei den Europawahlen in diesem Frühjahr. Rechtspopulisten und Grüne haben dabei ihre politischen Programme mit Menschenbildern und Identitäten verbunden, die glaubhaft das individuelle Wohlergehen mit einer Gegenwartsdiagnose und einer konkreten, kollektiven Handlungsdevise verquickt haben. Demgegenüber steht der begründungslose Eklektizismus der Sozialdemokratie, getreu der Devise: Für jeden irgendetwas! Für die Paketboten gibt es die „Nachunternehmerhaftung“, für die Familien das „Gute-Kita-Gesetz“, für die Alten womöglich bald die „Solidarrente“ und für die Jungen ein „Recht auf Homeoffice“. Die materiellen Bedürfnisse dieser oder jener Klientel werden möglichst befriedigt, was wiederum mit der Hoffnung verbunden wird, dass sich dies in Dankbarkeit an den Wahlurnen übersetzt. Auf die Parzellierung der Gesellschaft reagiert die Sozialdemokratie also mit einer Parzellierung ihrer Politik.«
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2019/august/partei-ohne-erzaehlung-die-existenzkrise-der-spd
»Da ist der Neoliberalismus, der mit seinem Prinzip der Individualität, der Selbstregulierungskraft der Märkte, der Konkurrenz und des Wachstums die Wirtschaftsliberalen mit Sinnangeboten und Handlungsempfehlungen versorgt. Da ist die radikale Rechte, die mit essentialistischem Zugehörigkeitsdenken und der Idee eines homogenen Volkes ein ebenso wirkmächtiges Narrativ anbietet. Und da ist die grüne Erzählung, nach der die Freiheitlichkeit demokratischer Systeme nur durch ein radikales Umdenken in ihrem Ressourcenverbrauch erhalten werden kann. Alle drei Erzählungen basieren auf den jeweils eigenen Werten der Individualität, der Volkszugehörigkeit und der Nachhaltigkeit, bieten damit plausible Interpretationen der Gegenwart und verbinden diese mit einem konkreten Versprechen für die Zukunft: Wenn sich jeder Einzelne anstrengt, dann geht es allen besser. Wenn wir die Gesellschaft vor Fremden schützen, verteidigen wir unseren Wohlstand. Wenn wir ökologisch handeln, bewahren wir die Welt für unsere Kinder.
Gerade die letzten beiden Erzählungen haben in den vergangenen Jahren ihre Sammlungskraft eindrucksvoll unter Beweis gestellt, zuletzt bei den Europawahlen in diesem Frühjahr. Rechtspopulisten und Grüne haben dabei ihre politischen Programme mit Menschenbildern und Identitäten verbunden, die glaubhaft das individuelle Wohlergehen mit einer Gegenwartsdiagnose und einer konkreten, kollektiven Handlungsdevise verquickt haben. Demgegenüber steht der begründungslose Eklektizismus der Sozialdemokratie, getreu der Devise: Für jeden irgendetwas! Für die Paketboten gibt es die „Nachunternehmerhaftung“, für die Familien das „Gute-Kita-Gesetz“, für die Alten womöglich bald die „Solidarrente“ und für die Jungen ein „Recht auf Homeoffice“. Die materiellen Bedürfnisse dieser oder jener Klientel werden möglichst befriedigt, was wiederum mit der Hoffnung verbunden wird, dass sich dies in Dankbarkeit an den Wahlurnen übersetzt. Auf die Parzellierung der Gesellschaft reagiert die Sozialdemokratie also mit einer Parzellierung ihrer Politik.«
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2019/august/partei-ohne-erzaehlung-die-existenzkrise-der-spd